Leseprobe Karriere im Kinderzimmer

 

Liebe Leserinnen,

 

es steht völlig außer Frage, dass ein Text mit dem Titel Karriere im Kinderzimmer jemals von einer männlichen Person aufgeschlagen, geschweige denn gelesen wird, inso­fern kann ich getrost und ohne schlechtes Gewissen alle nicht-weiblichen Personen in diesem Vorwort unange­sprochen lassen.

 

Sollte sich dieses Buch entgegen aller Logik und Wahr­scheinlichkeit aber doch eines Tages in den Händen eines Mannes wiederfinden, so bitte ich um Nachsicht und for­dere diesen tapferen Helden auf, trotz meiner politisch unkorrekten Anrede unvoreingenommen weiterzulesen. Aber Vorsicht! Dieses Buch ist vollkommen ungeeignet für Männer, deren Ehefrauen, Freundinnen, Geliebte kurz vor der Entbindung stehen! Hier kann ich nur sagen: Finger weg! Lesen Sie lieber einen spannenden Krimi, ein Sachbuch über das Golfspiel oder noch besser den Wirt­schaftsteil der FAZ. Später, wenn die Kinder aus dem Kindergartenalter heraus sind, dürfen Sie es gerne in die Hand nehmen.

 

Meine eigentliche Sorge aber gilt all den jungen, aka­demisch gebildeten, karrierewilligen Frauen, die auch Kin­der haben wollen und die dieses Buch jetzt in den Händen halten. Wenn Sie bereits fest Fuß in Ihrem Beruf gefasst haben, sehr klare Vorstellungen von Ihrem Leben mit Kind und Beruf haben, furchtlos, dynamisch und selbst­bewusst sind, können Sie unbekümmert weiterlesen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie nichts verunsichern wird und Sie Ihren Weg gehen werden, mit Kind und Mann, mit Kind ohne Mann, ohne Kind mit Mann oder auch ganz alleine. 

 

 

Ich gebe freimütig zu, dass ich nicht zu dieser benei­denswerten Sorte Frau gehörte, als ich in das Abenteuer Kind hineingestolpert bin. Dieser Tatsache ist es zuzu­schreiben, dass mein Leben mit der Geburt meines Sohnes so vollkommen aus den Fugen geraten konnte. Auch wenn ich fürchte, dass dieses Buch potentiell eine Gefahr dar­stellt für all die jungen Frauen und zukünftigen Mütter, die wie ich manchmal unsicher sind, selbstkritisch und zu­gleich in höchstem Maße anspruchsvoll gegenüber sich selbst, möchte ich diese Frauen dennoch bitten, weiterzu­lesen – und trotzdem an ihrem Kinderwunsch festzuhal­ten. Ich kann Ihnen versichern, auch wenn es auf den fol­genden Seiten manchmal nicht so aussehen mag, so waren (und sind) meine Kinder das allergrößte Glück, das mir im Leben widerfahren ist.

 

Behalten Sie diesen Gedanken fest im Blick, wenn Sie weiterlesen. Lassen Sie sich die Freude auf Ihr Kind (sollte es schon unterwegs sein) nicht vermiesen. Nehmen Sie dieses Buch als Warnung, seien Sie auf der Hut vor eiskal­ten Hebammen, gefühllosen Ärzten, unflexiblen Arbeitge­bern und einem mütterfeindlichen Bildungssystem. Viel­leicht können Sie dann der Falle entgehen, in die ich ge­tappt bin, ahnungslos und naiv wie ich war. Ich möchte Sie nicht ent-mutigen, im Gegenteil. Ich möchte Sie er-mutigen, mit einem, zwei oder gleich mehreren Kindern Liebe, Glück und Freude in ihr Leben zu lassen – auch wenn dafür ein gewisser Preis zu zahlen ist.

 

All den anderen geschätzten Leserinnen, die wie ich die Entbindungen, Dreimonatskoliken und Trotzphasen ihrer lieben Kleinen schon durchlebt haben (oder sie gerade durchleben) schenke ich ein Augenzwinkern: Das Ganze lohnt sich doch, trotz allem, gell?

 

   

 

Der anspruchsvollste Job der Welt

 

 

1 Uhr 45: Ein gellender Schrei zerreißt die Nacht. Ich fahre hoch, aus tiefstem Schlaf gerissen, orientierungslos, verwirrt. Mein Herz rast. 

„Mama! Mama, komm! Mir piekt‘s hier so!“ 

Felix! Nein, nicht schon wieder! Nein, ich will nicht! Mit einem lauten „Nein, bitte nicht“ lasse ich mich in die weichen, warmen Kissen zurückfallen. 

„Mama, komm!!“ 

Ich verstecke mich unter der Bettdecke. Ist das kusche­lig hier. 

„Maaaammmaaaa!“ 

Was? Was ist los? Ach ja, ich soll aufstehen. 

 

Ein leises Schnarchen gleich neben meinem rechten Ohr lässt mich wissen, dass mein Mann nicht daran denkt, seine schweren Lider zu heben, die kuschelweiche Decke zu lüften und den unvermeidlichen Weg ins Kinderzimmer anzutreten. Mir ist bis heute nicht ganz klar, ob dieser Mann wirklich so einen tiefen Schlaf hat, oder ob er diesen wohlweislich nur vortäuscht. Warum gelingt mir das nicht? Warum kann ich mich nicht einfach umdrehen und so tun, als hätte ich nichts gehört? 

 

Nicht, dass ich es nicht schon versucht hätte. Mit dem Ergebnis, dass nach zehnminütigem, in Frequenz und Lautstärke ansteigenden Geheule des lieben Kleinen auch noch das andere liebe Kleinere aus den Träumen gerissen wurde. Das darauf folgende Mordsgebrüll weckte meinen allerliebsten Großen, den Erzeuger der beiden Kleinen, und verwandelte ihn in ein wutschnaubendes Ungeheuer. Woraufhin ich natürlich dann doch pflichtschuldigst aus dem Bett sprang, um meine sträfliche Unterlassungssünde wieder auszubügeln. Ich wiegte Lisa auf dem Arm wieder in den Schlaf und versorgte Felix gleichzeitig mit Wasser, Nasentropfen und einer Salbe gegen Mückenstiche. 

 

Um eine Wiederholung dieses nächtlichen Marathons zu vermeiden, richte ich mich jetzt stöhnend auf. Sämtli­che Glieder schmerzen, mein Kreuz droht den Dienst zu versagen. Irgendwie komme ich auf die Füße. Wie immer wird mir dabei erst einmal schwarz vor Augen. Warum ich noch nie in aufsehenerregender Ohnmacht zu Boden ge­stürzt bin, ist mir schlicht ein Rätsel. Die Dramatik eines solchen Auftritts wäre bei dem Publikum vermutlich auch verfehlt. Auch heute hoffe ich wieder vergeblich auf diesen krassen Beweis meiner körperlichen Erschöpfung und schleppe mich leise fluchend hinunter ins Kinderzimmer.

 

Felix sitzt wie in Trance mit geschlossenen Augen da, wiegt den Oberkörper hin und her und kratzt sich frene­tisch den großen Zeh. Um dies alles sehen zu kön­nen, muss ich natürlich erst einmal die sieben Stufen zu seinem Hochbett hinaufklettern. 

 

Wer hat diese Dinger eigentlich erfunden? Hat derje­nige auch nur einen einzigen Gedanken an die zahllosen Mütter verschwendet, die nächtens Kopf und Kragen ris­kieren, um die diversen Wehwehchen ihrer somnambulen Sprösslinge zu lindern? Meine Mutter jedenfalls musste sich einfach nur an meinen Bettrand setzen, um die kühle Hand auf meine Stirn zu legen oder mir ein Glas Wasser zu reichen – und das natürlich auch nur dann, wenn ich kurz vor dem Fieberkrampf stand. Heutzutage bedürfen diese einfachen Handreichungen nicht nur eines durchtrai­nierten Frauenkörpers, sondern auch noch der absoluten Schwindelfreiheit. Schade, dass ich nicht Anwältin gewor­den bin: Ich würde jeden Hochbetthersteller verklagen. Und natürlich neunundneunzig Prozent aller Architekten, denn schließlich tragen die ja die Hauptschuld an dem Hochbettübel. Warum müssen Kinderzimmer immer Schuhkartongröße haben? Wo soll man da neben Schrank, Tisch, Stühlen und mindestens zwanzig Spielzeugkisten auch noch ein vernünftiges Bett unterbringen? 

 

 

„Mama, mir piekt´s hier so schrecklich, ich kann gar nicht schlafen.“ 

Felix kann nie schlafen. Felix will vor allem auch nie schlafen. Er empfindet schlafen als das Lästigste aller Übel. Lästiger als Zähneputzen und Gemüse essen, und das heißt schon was. Schon als Säugling hatte er nachts mehr Spaß daran, mit Papa fernzusehen oder den rasselnden Figuren seines Babyturncenters kräftige Tritte zu verset­zen, als friedlich in seinem Babybettchen zu schlummern. Leider überforderte der kleine Kerl damit nicht nur uns, sondern vor allem sich selbst hoffnungslos, was dann re­gelmäßig zu stundenlangem Gebrüll führte. Wir als hoch­qualifizierte, belesene und kultivierte Akademikereltern waren natürlich auf diese Art von Herausforderung mit­nichten vorbereitet. Ob wir uns dümmer angestellt haben als andere, weiß ich nicht. Auf jeden Fall konnten wir un­serem Sohn die Kunst des Ein- und Durchschlafens nicht vermitteln, bis heute nicht. Weder unsere grenzenlose Liebe, noch die Ratschläge unserer Eltern und am allerwe­nigsten die als unfehlbar angepriesenen Methoden diverser Einschlafbücher konnten daran etwas ändern. Felix schläft nicht. Und ich glaube mittlerweile, dass dies bis an sein Lebensende so bleiben wird. Aber so lange werde ich ja hoffentlich nicht darunter zu leiden haben. 

 

Jetzt befeuchte ich zunächst einmal meinen Zeigefin­ger, um ihm die angeblich (oft glaube ich nicht an seine Wehwehchen) juckende Stelle zu verarzten. Mit Mutter­salbe sozusagen. Hilft immer. Oder meistens. Für das Mückenmittel müsste ich ja wieder runter vom Bett, hinauf ins Schlafzimmer, wieder hinunter, rauf auf´s Bett usw. Ich klopfe sein Kopfkissen zurecht, lege ihn behutsam wieder hin und streiche ihm sanft über die Stirn. Dabei bewun­dere ich mich selbst in meiner mütterlichen Hingabe. Felix seufzt zufrieden und ich will mich schon leise die Leiter wieder hinunterschleichen, da murmelt er: „Eine Minute dableiben, bitte.“

 

Und vorbei ist es mit meiner mütterlichen Hingabe. Wütend zische ich „Ich will wieder ins Bett, ich bin müde, wenn´s recht ist. Jetzt hör auf mit dem Theater“. Einge­schüchtert zieht Felix sich die Bettdecke über den Kopf. Ich darf also gehen.

 

Ich taste vorsichtig mit dem Fuß nach der ersten Lei­tersprosse und steige langsam abwärts. Auf der letzten Sprosse angelangt, höre ich von oben leise „Mama, ich muss noch mal Pipi“. Wäre ich ein wildes Tier, würde ich spätestens jetzt meine Beute gnadenlos in Stücke reißen. Manchmal, fürchte ich, ist der Schritt von einer genervten Mutter zum wilden Tier nur ein winzig kleiner. Doch auch diesmal hole ich nur tief Luft und sage, „dann komm“.

 

Zur Toilette geht Felix nachts auch nie alleine. Er traut sich nicht. Wie alt müssen Kinder werden, um ihre noto­rische Angst vor der Dunkelheit zu verlieren? Ich selbst habe, glaube ich, ziemlich lange gebraucht. Aber ich musste bestimmt auch nicht jede Nacht zur Toilette. Felix wohl. Er hat eine Blase wie ein Eichhörnchen. Oder ein Hamster. Deshalb darf er kurz vor dem Schlafen eigentlich auch nichts mehr trinken. Eigentlich. Aber welche Mutter würde es übers Herz bringen, ihrem kurz vor dem Ver­dursten stehenden Sprössling den lebensrettenden Schluck Wasser zu verweigern? So schiebe ich den kleinen Kerl sanft über den Flur zum Bad, schalte das Licht ein und warte, bis er seine Hamsterblase entleert hat. Geht schnell. Dann begleite ich ihn zurück an die Sprossen seines Hochbettes, warte bis er oben ist, um mich dann meiner­seits todmüde ins Elternschlafzimmer zu schleppen und wie ein Sack Zement ins mittlerweile erkaltete Bett zu fal­len. 

 

Ich versuche das laute Schnarchen meines immer noch ungestört schlummernden Gatten zu überhören und sinke allmählich wieder zurück in das schweren Herzens verlas­sene Reich meiner abgebrochenen Träume. Wenn ich Glück habe, darf ich dort auch bis zum Morgengrauen bleiben. Aber nur, wenn ich ganz viel Glück habe. Nicht selten geschieht es, dass spätestens dann, wenn ich wieder friedvoll schlummere, ein putzmunterer Felix vor meinem Bett steht und mir erklärt, er könne nun nicht mehr ein­schlafen und habe außerdem furchtbaren Durst. Wasser steht immer neben meinem Bett. Was spricht also dagegen, dass man ihm die Flasche einfach reicht und er sich an­schließend leise wieder nach unten verzieht, um zu tun, was ihm mitten in der Nacht zu tun beliebt? Es sei so dun­kel, erklärt er mir, er traue sich nicht, alleine in sein Bett zurückzugehen. Seltsamerweise hat er noch nie ein Problem damit gehabt, zu mir zu kommen, und sei es auch noch so dunkel! Außerdem könne er sich nicht so gut al­leine zudecken. Also springe ich erneut auf und bringe ihn wieder runter, wobei ich ihm unter Androhung der Todes­strafe vor einem erneuten Auftauchen an meinem Bett warne. Meistens hilft diese Drohung.

 

Was natürlich nicht ausschließt, dass in ganz schlechten Nächten irgendwann zwischen drei und fünf Uhr morgens Lisas verzweifeltes Gejammer an mein Ohr dringt und mich erneut aus dem Bett treibt. Ein Albtraum. Oh Gott, ein Albtraum. Da mein Körper in solchen Nächten ohne­hin nicht wirklich zur Ruhe kommt, bin ich sofort hell­wach, springe auf und eile – schon wieder – die Treppe hinunter. Es muss unter allen Umständen vermieden wer­den, dass Felix wieder wach wird. Lisa ist meistens schnell zu beruhigen (sie schläft auch – Gott sei es gedankt – nicht im Hochbett) und wenn alles Streicheln, Beruhigen und Leise-Summen nicht helfen will, tut in der Regel die eiligst aufgewärmte Milchflasche zuverlässig ihren Dienst. Wenn ich dann endlich wieder mit zitternden Knien und kolla­bierendem Kreislauf ins Bett falle, bleibt mir noch höchs­tens eine knappe Stunde unruhigen Schlafs, bis eines der beiden Ungeheuer vollkommen ausgeruht und unterneh­mungslustig vor meinem Bett steht. 

 

Ich hebe dann halb bewusstlos die Bettdecke ein wenig an und lasse es darunter kriechen, ertrage eine halbe Stunde lang diverse Tritte gegen Bauch, Oberschenkel oder Po und lausche den geflüsterten Selbstgesprächen eines knapp sechsjährigen Bücherwurms (Felix sagt bei diesen Gelegenheiten immer die Texte seiner Lieblings­bücher auf) oder einer überaus redseligen Dreijährigen. Felix hat eine ganz besonders interessante Technik des frühmorgendlichen Herumzappelns entwickelt: Er zuckt wellenartig am ganzen Körper, als hätte er soeben die Fin­ger in eine Steckdose gehalten. Es soll ja Wasseradern ge­ben, in deren Nähe Menschen nicht schlafen können. Felix ist eine lebende Wasserader. Ich kann die Frau, die einmal neben ihm schlafen wird, nur bemitleiden. Er strahlt am frühen Morgen (und das heißt so zwischen fünf und sechs Uhr!) eine derartige Unruhe aus, dass jedes gemütliche Dahindämmern ganz und gar unmöglich wird.

 

 

Seit sechs Jahren verlasse ich nahezu jeden Morgen das Bett mit einer solchen Wut im Bauch, dass ich mich ernst­haft fragen muss, wieso ich noch keine Magengeschwüre habe. Und wen wundert’s, dass der morgendliche Ehe­krach bei uns zur festen Einrichtung geworden ist? Aber bitte schön, wie soll man reagieren, wenn man nach derar­tigen Nächten von einem gut gelaunten, ausgeruhten Ehemann gefragt wird: „Hast Du gut geschlafen?“